Nacruf vom BW 8.11.2000

Jolanda Rodio - Eine Pionierin ist gestorben

Jolanda Rodio, Musik- und Theatrepädagogin, Sängerin und Gründerin der Kulturmühle Lützelflüh, ist am 1. November 2000 in Ribe, Dänemark gestorben. Ihr Tod löste Reaktionen aus weiten Teilen Europas aus.

Nachruf - Jolanda Rodio und Kulturmühle Lützelflüh, zwei untrennbare Begriffe. Die Nachricht, dass die Theater- und Musikpädagogin und Konzertsängerin, zuletzt wohnhaft im dänischen Ribe, gestorben sei, löste ein breites Echo aus weiten Teilen Europas aus, wie Fritz von Gunten, Präsident des heutigen Verein Kulturmühle Lützelflüh, berichtet. Ehemalige Schülern, Freunde und Bekannte erinnerten sich gerne an die Zeit, die sie in der Mühle im Gotthelfdorf verbrach haben. Das Emmental wäre um ein markantes Project ärmer, wenn nicht die meist kämpferisch aber immer engagiert und für das Begegnungs- und Kulturzentrum besorgte Künstlerin 1972 die Mühle erworben hätte. Eine Mischung Zwischen einem Bulldozer und Meierysli wurde sie von Freund und Schüler der Schule Totales Theater einmal umschrieben. Und Jolanda dazu: "Ein Bulldozer bin ich, wenn ich etwas durchsetzen und durchführen will und man mir etwas in den Weg stellt. Meine Meierysliseite offenbart sich dann, wenn ich mich um Menschen kümmere."

Ein Werk auf ihrem Weg

Ihren unbändigen Willen, in der Schweiz ein Kulturzentrum aufzubauen, konnte Jolanda Rodio 1972 in die Tat umsetzen. In der alten Mühle in Lützelflüh restaurierte sie mit vielen freiwilligen Helfern, baute aus, veranstaltete sie Ausstellungen, Konzerte, organisierte sie Kurse und Tagungen mit Persönlichkeiten aus aller Welt. Die Mühle wurde weit über die Region hinaus bekannt. In der engeren Umgebung im Dorf, im Emmental wurden viele Projekte zur damaligen Zeit mit viel Skepsis betrachtet. Mit ein Grund, weshalb ihr Vorhaben immer auch von grossen finanziellen Sorgen geplagt war. 1981 wurde eine Stiftung errichtet.
1983 erfuhr Jolanda Rodio durch den Kanton mit einer kulturellen Auszeichnung Anerkennung für ihr Schaffen. Doch 1989 mussten die Türen vorübergehend geschlossen werden. Die Schuldenlast war zu gross. Der gleiche Regierungsrat half glücklicherweise mit, die Rettungsarbeit zu unterstützen und schrieb damals: "Es lässt sich kaum bestreiten, dass die Kulturmühle Lützelflüh in den Jahren ihres Bestehens vielfältige Impulse zum kulturellen Leben der engeren und weiteren Region beigetragen hat, obwohl betriebliche und finanzielle Probleme von Anfang an ständige Begleiter des wagemutigen Unternehmens waren. Als 'Kulturzentrum auf dem Lande' mit besonderer Ausprägung und eigenwilliger, durch die Persönlichkeit der Gründerin und Stifterin stark beeinflusster Ausstrahlung stellte sie auch ein in mancher Hinsicht interessantes Experiment dar. Es wäre für die Region Emmental deshalb sicher ein Verlust, wenn die Kulturmühle als Zentrum kultureller Aktivitäten endgültig verschwinden müsste." Jolanda Rodio konnte überzeugt werden, gedanklich an der Rettung mitzuhelfen. Sie zog sich zurück, wechselte den Wohnort nach Hasle-Rüegsau, nach Derendingen, Berlin, Gredsted in Dänemark. Noch vor vier Wochen, verlegte sie ihr Domizil nach Ribe. Jolanda war immer in Bewegung, sie hat damit auch viel in Bewegung gesetzt. Freunde teilten mit, in Ribe hätte sie endlich ein Zuhause gefunden, das von der Art her der Mühle in Lützelflüh sehr ähnlich war. Nun hat sie auf einem langen, 86-jährigen Lebens weg mit viel Bewegung, viel Hindernissen, aber auch mit viel Freude und viel Begegnungen ihre Ruhe gefunden.

Mit grosser Genugtuung und Freude hat sie in den letzten Jahren mitverfolgt, wie ihr Kind, die Kulturmühle; Schritt für Schritt ausgebaut und sich auch in der Region verankert hat. Ganz im Sinn der Gründerin der Kulturmühle sollen auch in Zukunft Menschen aus aller Welt in Lützelflüh ein und aus gehen. So mussten wir zwar mit Trauer vom Ableben der Pionierin Kenntnis nehmen, wissen aber, dass ihr Lebenswerk weiterleben wird. fvg